Meeting Management

Professorin für Leadership: “Führung geschieht eigentlich nur noch durch Meetings”

Fabiola Gerpott – Chair of Leadership an der Management-Hochschule WHU – erforscht die Unterschiede zwischen Face-to-Face- und Online-Meetings und welche Chancen sich durch virtuelle Führung ergeben könnten. Das Interview.

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Fabiola H. Gerpott
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Was ist das A und O virtueller Führung? Die richtige Antwort liegt auf der Hand: gutes Meeting Management . In einem größeren wissenschaftlichen Projekt, das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wird, untersucht Fabiola H. Gerpott, Inhaberin des Chair of Leadership an der WHU – Otto Beisheim School of Management, einer der führenden Management-Hochschulen Europas, den Unterschied zwischen Face-to-Face- und Online-Meetings. Im Interview mit Sherpany teilt Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus der Forschung und ihrer praktischen Erfahrung aus der Arbeit mit HR-Abteilungen.

Virtuelle Führung: Hybride Meetings als Knackpunkt

Da sich dank verbesserter Pandemie-Situation eine mögliche Rückkehr ins Büro abzeichnet, stellen sich momentan wichtige Fragen: Bleibt virtuelle Führung der Standard, weil Home Office normal geworden ist? Setzen sich hybride Arbeitsformen durch, bei denen ein Teil der Mitarbeitenden zusammen in einem Raum sitzt und sich „der Rest“ virtuell zuschaltet? Oder gehen wir einfach zurück zum Alten – alle treffen sich im Büro? Fabiola Gerpott rät Unternehmen und Führungskräften, sich diese Fragen aktiv zu stellen und im Team zu diskutieren.

Es sei jetzt an Führungskräften, ihre Gestaltungsmacht hier ernst zu nehmen, damit die positiven Innovations- und Leistungspotenziale virtueller Führung auch im hybriden Raum beibehalten werden können. Denn es lauern laut der Professorin auch Gefahren. Im Interview liefert sie konkrete Handlungsanweisungen.

 

Sie erforschen, wie Führungskräfte virtuelle Teams führen und welche Dynamiken sich dabei abspielen. Welche Rolle spielen Meetings für die virtuelle Führung?

Prof. Fabiola Gerpott: Meetings waren in den vergangenen Monaten der Raum, wo Führung überwiegend stattfand. Die Meeting-Forschung hat dadurch einen großen Auftrieb erhalten – und wir gehen davon aus, das virtuelle Meetings auch in Zukunft vermehrt einen zentralen Ort darstellen, an dem Führung ausgeübt wird.

Die Covid-Krise stellt eine große Herausforderung für Führungskräfte dar. Was macht gute virtuelle Führung aus?

Prof. Fabiola Gerpott: Krisenzeiten wie die COVID-19-Pandemie können den Stress für Mitarbeitende erhöhen und sich destabilisierend auf Organisationen auswirken. Aus der Forschung wissen wir, dass Führungskräfte in solchen Zeiten besonders gefordert sind. Mitarbeitende schätzen in Krisen richtungsweisendes Verhalten und Orientierung wert. Führungskräfte, die aktiv Meetings einberufen und mutig die nächstmöglichen Schritte aufzeigen, werden oft führungsstärker und positiver wahrgenommen. Dabei geht es nicht darum, für alle Herausforderungen der Krise eine Lösung parat zu haben. Vielmehr geht es um Transparenz, ein offenes Mindset und einen perspektivischen, proaktiven Blick in die Zukunft. Manager:innen, die nur das Schlimmste abzuwenden versuchen und reaktiv kommunizieren, werden hingegen tendenziell als führungsschwach wahrgenommen. 

Grundsätzlich gelten für virtuelle Führung allerdings dieselben Prinzipien wie auch bei “normaler” Führung. Wir unterscheiden drei grundlegende Dimensionen, die gute Führung adressieren sollte:

 

  • Aufgabenorientierung

Diese Dimension umfasst klassische Management-Aufgaben. In einer Studie gab die Hälfte der Befragten an, dass sie regelmäßig in Meetings nicht weiß, um was es geht und was eigentlich erreicht werden soll. Auf das Meeting heruntergebrochen, sollten folgende Fragen vorab bedacht werden: Worum geht’s überhaupt? Welche Aufgaben stehen an? Was ist das Ziel des Meetings? Die verantwortliche Führungskraft kann zum Beispiel vorher eine Agenda aufsetzen, welche diese Aspekte umfasst und von den Meeting-Teilnehmenden ergänzt werden kann.

 

  • Beziehungsorientierung

Im virtuellen Raum wird die Beziehungsorientierung oft vernachlässigt. Allerdings ist es gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, in denen Mitarbeitende viel alleine im Home Office arbeiten und auch sonst häufig auf soziale Kontakte verzichten, zentral, die Beziehungsebene zu stärken, um Isolation und Vereinsamung entgegenzuwirken. Hier geht es darum, die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden, die im Meeting anwesend sind, zu erkennen und eben auf diese einzugehen. Das ist virtuell natürlich schwieriger, weil Emotionsausdruck und Körpersprache, die Face to Face viel einfacher rübergebracht werden, weniger klar zu erkennen sind. Führungskräfte können hier zum Beispiel entgegenwirken, indem sie die Kameranutzung vorschlagen oder Zeit für Smalltalk bewusst einplanen. 

 

  • Veränderungsorientierung

Diese Dimension wird auch die transformationale Führungskomponente genannt. Auch im virtuellen Raum sollte die Führungskraft nicht vergessen, dass es unter anderem ihre Aufgabe ist, zu inspirieren, zu motivieren, irgendwie einen Spirit rüberzubringen und die Leute mitzureißen. Diese dritte Komponente wird virtuell oft vernachlässigt, weil man sich sehr schnell nur auf die Komponente der Aufgabenorientierung konzentriert.

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In einem größeren Forschungsprojekt, das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wird, untersuchen Sie den Unterschied zwischen Face-to-Face-Meetings und Online-Meetings und welche Chancen sich durch virtuelle Führung ergeben könnten. Welche Erkenntnisse haben Sie bisher erhalten?

Prof. Fabiola Gerpott: Erste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass virtuelle Meetings eine Option bieten, Diversität zu fördern und mehr Gleichstellung zu erreichen. Im klassischen Face-to-Face-Setting kommt oft sehr präsent zum Ausdruck, dass man einen anderen Status hat als die Führungskraft. In Online-Meetings fallen hingegen klassische Symbole zur Status-Signalisierung weg. Beispielsweise haben CEO und Mitarbeitende dieselbe Kachelgröße in der Videosoftware, die gleiche Lautstärke, es gibt keine vordefinierte Platzordnung etc.

Damit stellt man automatisch eine höhere Gleichheit unter den Anwesenden her. Manche Führungskräfte finden das natürlich gar nicht so toll, denn sie verlieren dadurch eine Ausdrucksmöglichkeit für Statussymbole. Gleichzeitig ist auf positiver Seite zu vermerken, dass virtuelle Settings so tatsächlich dafür sorgen können, dass die Rede-Anteile tendenziell gleichmäßiger verteilt und fairer sind. Auch Unterbrechungen werden seltener, wohl weil es sehr unhöflich wirkt, wenn man virtuell einfach reinredet. 

Wir finden auch Hinweise darauf, dass das vermehrte Aufkommen virtueller Führung für weibliche Führungskräfte ein Vorteil sein kann. Dadurch dass klassische Statussignalisierungen wie Körpergröße und Auftreten virtuell wegfallen, können Frauen aufgabenorientierter kommunizieren, ohne negativ wahrgenommen zu werden. Im Face-to-Face-Setting werden Frauen manchmal als anweisend oder “bossy” wahrgenommen, aber virtuell wird dieser Effekt abgeschwächt. Online-Meetings und die damit einhergehenden notwendigen neuen Formen der sozialen Einflussnahme bieten also viele Chancen.

 

Was bedeutet mehr Gleichheit für ein Unternehmen?

Prof. Fabiola Gerpott: Eine gleichmäßigere Rede-Verteilung sorgt dafür, dass mehr Leute ihre Ideen einbringen können. Ein strukturierter Prozess, in dem alle Meeting-Teilnehmenden ihre Meinung äußern, kann die Innovationsfähigkeit und die Kreativität erhöhen. Das schafft in der heutigen Wirtschaftswelt einen riesigen Mehrwert. 

 

Es zeichnet sich mittelfristig eine Verbesserung der Pandemie-Lage ab. Was bedeutet das für die virtuelle Führung? 

Prof. Fabiola Gerpott: Das ist eine zentrale Frage. Ich bin mir sicher, dass virtuelle Führung nie mehr verschwinden wird.

 

Wir werden in Zukunft hybride Arbeitsformate erleben, sodass Mitarbeitende teilweise von zu Hause und teilweise in den Büroräumlichkeiten arbeiten.

Prof. Fabiola Gerpott
Professorin für Personalführung an der WHU – Otto Beisheim School of Management


Virtuelle oder hybride Teams bieten Unternehmen die große Möglichkeit, den Pool potenzieller Talente zu vergrößern und diese Personen langfristig an sich zu binden. Das betrifft auch Arbeitnehmergruppen, die sonst nur schwerlich eingebunden werden könnten. Jede Krise bietet eine Möglichkeit, eingefahrene Routinen aufzubrechen, zu diskutieren und neue Normen einzuführen. Das wäre meine Hoffnung. Ich empfehle jeder Führungskraft, den Prozess des Übergangs zu hybriden Arbeitsformen aktiv zu gestalten, anstatt einfach zu hoffen, dass es sich irgendwie schon finden wird. 

Aus der Vergangenheit wissen wir allerdings: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden viele Unternehmen und Führungskräfte einfach schauen, wie sich die Lage so entwickelt. Etwa so, wie wir in diese Krise reingeschlittert sind, wird man jetzt wieder hinauskommen. Zwar haben sich in der Krise Normen etabliert, der Prozess wurde aber kaum aktiv mitgestaltet. Hier wäre es eine ganz große Chance, dass Unternehmen und Führungskräfte diese Aufgabe aktiv annehmen. Das müsste jetzt geschehen.

 

Hybride Meetings scheinen also die Zukunft zu sein. Doch genau hier scheint es in Unternehmen momentan noch große Fragezeichen zu geben. Worauf sollten Unternehmen und Führungskräfte achten?

Prof. Fabiola Gerpott: Führungskräfte sollten eine Diskussion mit dem Team darüber anstoßen, wie wir diesen neuen hybriden Arbeitsraum gemeinsam gestalten wollen. Man muss wirklich kritisch darüber nachdenken, ob die Mitarbeitenden vor Ort im Büro gemeinsam in einem Konferenzraum sitzen sollen und die anderen Kolleginnen und Kollegen dann zuhause sitzen und einzeln dazu geschaltet werden. Damit schafft man eine sogenannte In-Group-out-Group-Situation: Die im Büro bilden eine In-Group, die aktiver miteinander kommuniziert. Die anderen sind von außen dazugeholt, aber weniger ein Teil der Gruppe. Damit riskieren wir, dass die zuvor genannten Vorteile virtueller Führung wegfallen.

Deswegen würde ich es sehr begrüßen, wenn wir bei Teams, die hybrid arbeiten wollen, virtuelle Meetings beibehalten. Auch wenn ein Teil des Teams zusammen im Büro sitzt, würde ich empfehlen, dass sich trotzdem jede Person einzeln ins Meeting einwählt und separat hinsetzt, so dass hier kein Unterschied zwischen den Personen im Büro und im Home Office sichtbar wird. So können wir die zunehmend im virtuellen Meeting etablierten Regeln sowie positiven Innovations- und Leistungsaspekte auch bei hybriden Arbeitsmodellen beibehalten. Da sind gerade Führungskräfte gefragt, den Lead zu übernehmen. Sie haben eine zentrale Rolle dabei zu definieren, wie Meetings ausgestaltet werden.

 

Wie können Führungskräfte die Kommunikation in virtuellen und hybriden Meetings produktiver gestalten und die Gruppendynamik in positive Bahnen lenken?

Prof. Fabiola Gerpott: Das Wichtigste ist, dass man Meeting-Regeln definiert, also dass man wirklich eine Diskussion darüber führt, welche Kommunikationsregeln gelten. Das verleiht zum Beispiel einzelnen Meeting-Teilnehmenden das institutionalisierte Recht, bei fehlgeleiteten Diskussionen oder unkritischen Darstellungen zu intervenieren. Eine aktive Rollenzuordnung macht es dann jeder einzelnen Person einfacher, die Rolle auch auszuführen. Sonst muss immer jemand proaktiv diese Rolle einfordern.

Bei Diskussionen oder größeren Innovationsprojekten besteht immer die Gefahr des Gruppendenkens, also dass man sich zu schnell einigt und dann kritische Perspektiven gar nicht mehr eingebracht werden. Um dem entgegenzuwirken, kann man zum Beispiel eine Person bestimmen, die kritisch nachfragt. Oder eine Person, die den “Unterbrechungs-Detektiv” gibt und darauf achtet, dass die Kommunikation respektvoll gestaltet wird. 

Derartige Rollenzuweisungen wirken sich auch positiv auf die psychologische Sicherheit der Teilnehmenden aus, was immer mehr zum Thema wird. Wie kann man die psychologische Sicherheit in einem Meeting erhöhen, sodass jede Person das Gefühl hat, dass sie sich frei äußern kann, ohne dass sich jemand lustig macht oder man nicht ernst genommen wird? In großen Konzernen rückt dieses Thema immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit und es finden zum Glück vermehrt Schulungen dazu statt. Man stellt sich beispielsweise die Frage: Wie kann man vermeiden, dass immer nur dieselben Personen reden, während der Rest sich irgendwie nicht traut?

 

Mit dem Wechsel zu virtueller Führung hat sich auch die Technologie-Nutzung stark verändert. Welche Rolle spielt Technologie im Meeting-Prozess?

Prof. Fabiola Gerpott: Im Idealfall hilft Technologie dabei, das Meeting zu strukturieren, weil das so oft vergessen wird. Software-Lösungen können mich beispielsweise darauf hinweisen, worüber ich nachdenken und welche Schritte ich in der Meeting-Vorbereitung befolgen muss – wie beispielsweise eine Checkliste für wiederkehrende Meetings. Das hilft auf jeden Fall, Meetings besser zu gestalten.

 

Im Idealfall hilft Technologie dabei, das Meeting zu strukturieren, weil das so oft vergessen wird.

Prof. Fabiola Gerpott
Professorin für Personalführung an der WHU – Otto Beisheim School of Management


Eines der größten Probleme, die auch an Führungskräfte herangetragen wird, ist, dass einfach alle zu Meetings eingeladen werden. Es wird sich nicht die Mühe gegeben, darüber nachzudenken, wer wirklich dabei sein soll. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Meetings seit Beginn der Pandemie allgemein zugenommen hat. Was vorher kurz in der Teeküche abgestimmt wurde, ist nun ein weiteres Meeting. Diese hohe Frequenz von Meetings sorgt dafür, dass viele Führungskräfte einfach ins Meeting reinfallen und man ihnen anmerkt, dass sie sich nicht gut vorbereitet haben.

Man kann jeder Führungskraft nur empfehlen, sich ein bisschen damit auseinanderzusetzen: Wieso brauche ich überhaupt Meetings? Wie möchte ich mich vorbereiten? Technologie kann, wenn sie richtig eingesetzt wird, bei der Beantwortung dieser Fragen helfen und das Meeting Management in richtige Bahnen lenken.

 

Vor Ihrer Forschungstätigkeit haben Sie in der HR-Abteilung eines Automobilkonzerns gearbeitet und auch heute arbeiten Sie noch eng mit Unternehmen zusammen. Was kann aus Organisationssicht unternommen werden, um das Meeting Management in Großunternehmen zu optimieren?

Prof. Fabiola Gerpott: In Großkonzernen folgen Meetings oft immerhin einer gewissen formalen Struktur, was auf jeden Fall hilft. Auch die psychologische Sicherheit wird immer wichtiger. Doch viel zu viele Unternehmen haben einfach Meetings. Niemand ist wirklich dafür verantwortlich. Beispielsweise wird die Nachbereitung einfach vergessen, das Besprochene wird nicht nachhaltig dokumentiert.

Es wundert mich tatsächlich, dass Organisationen ihren Meetings so wenig strategische Aufmerksamkeit beimessen. Und das obwohl so viel Zeit darin verbracht wird und Meetings für das Funktionieren des Unternehmens so zentral sind.

In den meisten Unternehmen gibt es zum Beispiel kein standardmäßiges Onboarding zu Meetings. Niemand bringt einem auf sinnvolle Art und Weise bei, wie denn Meetings im Unternehmen gemanagt werden: Sind sie beispielsweise Entscheidungsgremien oder findet die eigentliche „politische Arbeit“ vorher statt? Welche technologischen Optionen stehen zur Verfügung, um Meetings zu unterstützen?

Man könnte sich auch überlegen, in die Personalauswahl von Führungskräften im Assessment Center eine Meeting-Situation nachspielen zu lassen, die direkt auf die Meeting-Führung abzielt. Und natürlich würde es auch nicht schaden, wenn man Meeting Management systematisch in die Ausbildung von Studierenden aufnehmen würde.

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Fabiola H. Gerpott
Über den Autor
Fabiola H. Gerpott ist Professorin für Personalführung an der WHU – Otto Beisheim School of Management, einer der führenden Management-Hochschulen Europas. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat sie einen Forschungsschwerpunkt auf virtuelle Führung gesetzt. Meetings spielen dabei eine zentrale Rolle.