Meeting Management

Bessere Beschlüsse ohne kognitive Verzerrung: So lässt sich das Survivor Bias vermeiden

Das Survivor Bias ist in Unternehmen weit verbreitet. Die Tendenz, Informationen zu verschweigen, wirkt sich negativ auf die Entscheidungsfindung aus. Hier erfahren Sie, wie Sie diese kognitive Verzerrung vermeiden können.

Aurelie Toro
Aurélie Toro
Groupe d'allumettes brûlées avec une survivante

Eine effektive Entscheidungsfindung erfordert eine detaillierte Analyse der verfügbaren Informationen. In der modernen Welt kann dies zu einer komplizierten Angelegenheit geraten, was zum Teil auf die Informationsüberflutung zurückzuführen ist. Hinzu kommt ein erwiesenes Konzept, welches die Erfassung eines objektiven Gesamtbildes stark beeinträchtigen kann: das Survivor Bias (kognitive Verzerrung des Überlebenden). 

Dieser Artikel beschreibt dieses Konzept und die ihm zugrunde liegenden Ursachen. Außerdem stellt er Tipps und Strategien bereit, wie sich dieses Phänomen vermeiden und sich bessere Entscheidungen erzielen lassen. 

 

Survivor Bias: Definition

Das Vorgehen, sich sukzessive an den Erfolgen anderer zu orientieren, ist ein natürlicher menschlicher Instinkt und oftmals zielführend. Es verkehrt sich jedoch schnell ins Negative, wenn wir das Survivor Bias nicht berücksichtigen – ein Paradoxon entsteht. Dieses Bias ist in der Geschäftswelt sehr verbreitet und ein häufiger Grund für schlechte Entscheidungen in Unternehmen.

 

Was ist das Survivor Bias? 

Diese Form einer kognitiven Verzerrung bedeutet, dass nur die "Überlebenden" ausgewählt werden – das heißt Personen, Projekte, Konzepte und Unternehmen, die erfolgreich waren und bessere Ergebnisse erzielt haben als andere. Somit entstehen Schlussfolgerungen auf Grundlage derer Leistungen und Attribute. Dieser in der Geschäftswelt sehr gängige Ansatz neigt jedoch dazu, einen Großteil der Informationen auszulassen. 

Das Fatale besteht darin, dass ähnliche und mitunter auch vielversprechende Lösungen keine Berücksichtigung finden, da ihre Ergebnisse in der Vergangenheit nicht überzeugend genug waren. Somit wird das zur Verfügung stehende Spektrum an Informationen auf ein – wenn auch bewährtes – Minimum reduziert.

Newsletter abonnieren

Erhalten Sie die neuesten Artikel, Interviews und Produkt-Updates.

Survivor Bias – ein historisches Beispiel 

Das wohl berühmteste Beispiel für das Survivor Bias stammt aus dem Zweiten Weltkrieg: Damals beauftragte die US-Armee den Mathematiker Abraham Wald damit, zu untersuchen, wie man Flugzeuge am besten vor Beschuss schützen könnte.1 Der ursprüngliche militärische Plan bestand darin, die aus dem Kampf zurückkehrenden Flugzeuge darauf zu untersuchen, wo sie am stärksten getroffen wurden. Die US-Armee kam zu dem Schluss, dass die Flügel und die Mitte am stärksten betroffen waren, woraufhin sie diese Bereiche mit einer Panzerung verstärkte – sie konnte aus Gewichtsgründen nicht am gesamten Flugzeug erfolgen. 

Doch Wald machte eine entscheidende kognitive Verzerrung deutlich: Das Survivor Bias hatte die Entscheidungsfindung beeinträchtigt. Die militärische Analyse vernachlässigte einen entscheidenden Teil des Bildes: Getroffene Flugzeuge, die nicht mehr zurückgekehren konnten, wurden nicht berücksichtigt.

Das Militär hatte für die Panzerung eine falsche Grundlage herangezogen. Die beobachteten Einschusslöcher zeigten nämlich die Bereiche an, in denen ein Flugzeug getroffen werden und weiterfliegen konnte – somit unterlag das Handeln einer klaren Verzerrung. Logisch und zielführend wäre es gewesen, die Einschussstellen der abgeschossenen Flugzeuge nachzuvollziehen, da eben diese die kritischen Bereiche bildeten und die Flugzeuge entsprechend dort hätten verstärkt werden müssen. 

 

Die Gründe: Darum unterliegen wir so oft dem Survivor Bias

Das Survivor Bias greift in unsere Fähigkeit ein, Informationen auszuwählen. Als Mensch geraten wir leicht in diese kognitive Verzerrung, da wir dazu neigen, dem Gesetz der geringsten Anstrengung zu folgen.

Im Geschäftsleben sind wir bestrebt, Ressourcen zu sparen und Informationen möglichst schnell aufzunehmen. Dabei erregen – katalysiert durch die Medien und die Charakteristiken der heutigen digitalen Welt – Extreme deutlich mehr Aufmerksamkeit als unspektakuläre Fälle. Die Durchschnittswerte bzw. sehr üblichen Fälle bilden jedoch die Norm, so langweilig dies auch für die Medien und die Algorithmen der sozialen Netzwerke sein mag. 

Da die Entscheidungen von Führungskräften zwingend die Realität widerspiegeln sollten, muss die Norm und nicht die Ausnahme deren Grundlage bilden.

Es ist also ungemein wichtig, dass diese “überlebt”, um eine kognitive Verzerrung wie das Survivor Bias und entsprechend ungünstige Beschlüsse zu antizipieren. 

Nassim Taleb, ein libanesisch-amerikanischer Essayist, mathematischer Statistiker und Analytiker, hat sich mit Problemen des Zufalls, der Wahrscheinlichkeit und der Ungewissheit befasst. Er schrieb über unsere Neigung, Misserfolge in Unternehmen zu ignorieren: "Wir bevorzugen das Sichtbare, das Integrierte, das Persönliche, das Erzählte und das Greifbare; wir verachten das Abstrakte."2

Gerade dieses Phänomen ist im Geschäftsleben besonders häufig anzutreffen. So geraten zum Beispiel gescheiterte Unternehmen schnell in Vergessenheit, während seltene Erfolgsgeschichten oft jahrzehntelang im Bewusstsein bleiben. Bei Studien zur Marktleistung werden Unternehmen, die zusammenbrechen, häufig ausgeschlossen. Dies kann die Statistiken verfälschen und Erfolge wahrscheinlicher erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Ein klassischer Fall für die kognitive Verzerrung des Survivor Bias.

 

Survivor Bias: Ein schleichendes Risiko für Entscheidungen

Es lässt sich zwar konstatieren, dass das Survivor Bias mit einer Art von Motivationsquelle zusammenhängt: nämlich sich von denjenigen, die es geschafft haben, Inspiration einzuholen. Dennoch sollte eine Reihe gefährlicher Folgen dieser kognitiven Verzerrung für die Entscheidungsfindung in Unternehmen nicht unterschätzt werden: 

  • Vernachlässigung von Misserfolgen: Die Fokussierung auf glückliche Überflieger lenkt die Aufmerksamkeit von den vielen Menschen oder Initiativen ab, die sich vergeblich an ähnlichen Zielen versucht haben. Dies kann den Eindruck erwecken, dass die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs weitaus höher als in Wirklichkeit liegt. Außerdem widmen für uns auf diese Weise tendenziell weniger den Details, die für einen echten Erfolg entscheidend sind. Fest steht: Eine Fehlinterpretation von Wahrscheinlichkeiten führt zu schlechten Managementstrategien. 

Nehmen wir ein Beispiel: Die Wahrscheinlichkeit, berühmt zu werden, liegt laut dem Mathematiker Samuel Arbesman bei etwa 0,000086 %.3 Allerdings kann die Art und Weise, wie wir Berühmtheit definieren (Kino? Silicon Valley? Politik? Influencer?), diese Statistik verändern. Nichtsdestotrotz bleiben die Chancen gering – losgelöst von der Frage, wie erstrebenswert uns dies individuell erscheinen mag. 

Aber Vorsicht: Wenn Sie die individuellen Parameter eines Brad Pitt oder Elon Musk heranziehen, kommt eine andere Gleichung ins Spiel. Als überaus erfolgreiche “Survivor” bilden sie keinen adäquaten Gradmesser für die Bewertung der Wahrscheinlichkeit, berühmt zu werden. Mit (nur) ihnen als Referenz käme es zu einer drastischen Fehlinterpretation der Chancen, eine kognitive Verzerrung in ihrer Vollendung.

  • Eingehen unverhältnismäßiger Risiken: Durch die Vernachlässigung der grundlegenden Erfolgswahrscheinlichkeiten können Einzelpersonen dazu verleitet werden, unverhältnismäßige Risiken einzugehen.

  • Nicht wissen, wann man aufgeben sollte: Die Motivation, ein Ziel um jeden Preis zu verfolgen, kann sich als gefährlich erweisen, wenn man nicht erkennt, wann man aufgeben sollte. Auf diese Weise können wertvolle Ressourcen verloren gehen und hohe Opportunitätskosten anfallen. 

So sollten sich Führungskräfte bei der Entscheidungsfindung und der Leitung ihrer Teams jederzeit des Survivor Bias bewusst sein, damit sie ihre Analysen nicht auf unvollständige Informationen stützen. 


 

Kognitive Verzerrung ausblenden: So lässt sich das Survivor Bias vermeiden

In diesem Abschnitt geben wir einige praktische Tipps, um sich bei der Entscheidungsfindung nicht von diesem kognitiven Bias beeinflussen zu lassen.

Suchen Sie nach Gegenbeispielen 


Im Allgemeinen sehen sich Führungskräfte dazu aufgefordert, ihre strategischen Entscheidungen nicht auf außergewöhnlich gute Beispiele zu stützen.

 

Denn zu lernen, das nicht Offensichtliche zu sehen, ist eine wichtige Fähigkeit, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Sich auf die Norm als Grundlage einer Strategie zu konzentrieren, anstatt auf Sensationen, bietet eine solide Methode, um das Survivor Bias zu vermeiden. Hier sind einige hilfreiche Fragen, die man sich bei Analysen stellen sollte: 

  • "Was hat oft gut funktioniert?" Anstatt:  "Was war ein Erfolg / hatte außergewöhnlich gute Ergebnisse?".

  • "Was hat nicht funktioniert und warum? Gibt es Dinge, die aus gutem Grund nur einmal fehlgeschlagen sind und die es vielleicht wert sind, noch einmal versucht zu werden?"  Anstatt Fehlschläge – ob nun gewollt oder ungewollt – zu ignorieren.

 

Heben Sie Erfolgsmodelle hervor – aber bleiben Sie realistisch

Erfolgreiche Vorbilder (z. B. Personen, Projekte oder Initiativen) zu haben, ist für viele Menschen eine wesentliche Quelle der Motivation. Führungskräfte nutzen diese häufig als Inspiration. 

Achten Sie jedoch darauf, nicht in die Sensationsfalle zu tappen: Behalten Sie die Proportionen und die Perspektive im Auge. Es sollte darum gehen, die Vorteile bei der Motivation zu nutzen, ohne aus Vorbildern zu riskante und zu ambitionierte Initiativen abzuleiten. Sie sollten das Positive als Inspiration heranziehen, ohne dabei Erfolgschancen zu überschätzen.

Denn bei einer starken Orientierung an Erfolgsmodellen kommt schnell das Survivor Bias als kognitive Verzerrung zum Tragen – die wahrgenommen Aussichten geraten leicht aus den Fugen. Die Realität ist jedoch häufig eine andere und unterliegt einer Vielzahl an Parametern: Wenn zum Beispiel zwei verschiedene Personen unter verschiedenen Umständen genau die gleichen Handlungen ausführen, lassen sich nicht die gleichen Ergebnisse erwarten. Die Wahrnehmung verzerrt sich jedoch schnell in die gegenteilige Annahme. 

Führungskräfte sollten dies möglichst antizipieren, an bewährten Methoden zur Entscheidungsfindung festhalten und eine Betrachtung der individuellen Situation (im Unternehmen bzw. im Team) heranziehen.

 

Fazit: Den Überblick bewahren: Sich des Survivor Bias als kognitive Verzerrung bewusst sein

Für jede Führungskraft ist es von entscheidender Bedeutung, jederzeit den Überblick zu behalten. Im Hinblick auf das Survivor Bias besteht die Kunst darin, die positiven motivationalen Aspekte von Vorbildern zu nutzen und gleichzeitig deren Gefahren zu kennen: von Erfolgsmodellen profitieren und gleichzeitig realistische Einschätzungen gewinnen. 

Allein die Tatsache, dass man sich des Survivor Bias – insbesondere bei der Entscheidungsfindung – bewusst ist, birgt bereits hohe Vorteile. Wenn Sie darüber hinaus bei Problemlösungen und Entscheidungen die richtigen Fragen stellt, lassen sich diese kognitive Verzerrung und die daraus resultierende Voreingenommenheit gut beseitigen.

 

Möchten Sie mehr über Meeting Management lesen?

1 “How ‘survivorship bias’ can cause you to make mistakes”, Brendan Miller, BBC, 2020.

"Survivorship Bias: The Tale of Forgotten Failures", Farnam Street Blog. 

3 "When Leaders Are Liars: How Survivor Bias Impairs Perspective", Forbes, 2020.


Teilen
Aurelie Toro
Aurélie Toro
Über den Autor
Aurélie nutzt ihre Erfahrung in der Content-Erstellung und im digitalen Marketing, um Führungskräfte in ihrer täglichen Praxis zu unterstützen. Sie ist ständig auf der Suche nach gesellschaftlich relevanten Themen, deren Recherchieren, Umsetzung und Verbreitung ihre Leidenschaften bilden. Sie tut ihr Bestes, um zu den Themen Meeting Management, digitale Transformation und agile Führung wertvolles Wissen zu vermitteln.